Headbangen in Trance
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7 Minuten
Pic: Federico Floriani
15.02.2022, 12:40

MESSA - Headbangen in Trance

Rund vier Jahre nach ihrem letzten Album „Feast Of Water“ sind MESSA aus der norditalienischen Region Venetien mit „Close“ zurück. Vordergründig richtet sich die Musik an Fans der Doom-Metal- und Psychedelic-Rock-Sparte, doch es gibt viel darüber hinaus zu entdecken. Spuren von virtuosen Jazz-Gitarren, Saxofon und orientalischen Instrumenten umwehen die Songs, die Vocals reichen weit in den Blues und Soul und am Schlagzeug werden zuweilen Black/Death-Wurzeln freigelegt. Wir bekamen im Gespräch mit Frontfrau Sara Einblicke in ihre Ideen und Grundphilosophie, auch wenn manche ihrer Worte abstrakt wirken können.
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Sara, der Sound von MESSA ist mit dem neuen Album noch einzigartiger geworden und bleibt dabei sehr vielseitig. Ist dies einfach der Spiegel von vielen Einflüssen, die ihr in Balance gebracht habt, ohne den Fokus auf die Atmosphäre zu verlieren?
»Dankeschön! Ich denke, dass „Close“ ein Ausdruck der Sehnsucht ist, uns weiterzuentwickeln. Es war herausfordernd, ein Metal-Feeling beizubehalten, obwohl wir verschiedene Instrumente wie Oud, Duduk (beides sind traditionelle Instrumente aus dem orientalischen Raum – mes) oder eine Mandoline benutzt haben. Wir mögen es gern, einen Schritt weiter zu gehen und uns selbst aus der Komfortzone zu bewegen. Eines unserer Ziele war es, die Zuhörer und uns selbst auf eine Reise zu schicken.«

Wieso heißt das Album „Close“? Es ist ein mehrdeutiges Wort, das für das Ende steht, aber auch zu etwas oder jemandem nahe zu sein.
»Der Ausdruck „close“ hat viele Bedeutungen. Auch für uns vier in der Band ist es jeweils eine unterschiedliche. Diese Mehrschichtigkeit wollten wir für das Album haben und das Dekodieren geht auch nicht nur in eine Richtung. Also ist es uns am liebsten, wenn die Menschen sich ihre eigene Interpretation suchen.«

Auch weil mir nicht alle Texte vorliegen: Gibt es Themen, welche das Album zusammenhalten? Für viele Menschen war die Pandemie eine harte Zeit, aber ebenso eine Gelegenheit sich selbst zu reflektieren und kreativ neu zu denken.
»Die Konfrontation mit mir selbst konnte ich in den letzten Jahren keinesfalls vermeiden. Es war unausweichlich, sich viel mit Introspektion zu beschäftigen. Auf „Close“ gibt es wahrscheinlich die düstersten Texte, die wir bisher hatten, aber vielleicht nehme ich das auch nur so wahr. Es gibt kein zentrales Thema, aber die Bandbreite an Emotionen zwischen tiefer Schuld und brennender Wut ist ziemlich groß. Ich bin mir aber sicher, dass ich über keine Sachen singen kann, die mich nicht tief bewegen.«

Das vom Saxofon angeführte 'Orphalese' scheint sich auf den Autor Kalil Gibran zu beziehen (in dessen Buch „The Prophet“ stellt Orphalese eine Stadt dar. Das Buch wurde in den 1960ern auch in der Hippie-Kultur viel beachtet - mes), aber '0=2' und 'Leffotrak' behalten ihre Rätsel für sich.
»Der Text zu '0=2' ist eine direkte Reaktion auf die Auseinandersetzung mit Vernichtung und wie wir die Welt wahrnehmen. 'Leffotrak' ist eher ein einzigartiges Delirium.«

Wie seid ihr überhaupt auf 'Leffotrak' gekommen? Ein Song wie eine Grindcore-Eruption, 45 Sekunden lang und mit heulenden Vocals eures Drummers Rocco. Einfach ein ironischer Moment in einem sehr komplexen und ernsten Album?
»Die Wahrheit ist, dass wir uns das Riff ausgedacht haben, als wir Backstage rumgehangen haben, Zeit totgeschlagen und berauscht am quatschen waren. Es ist eine Tour-Erinnerung, auf den wir bei Proben oft zurückkommen, wieso er dann auch auf dem Album gelandet ist.«

Die eher abstrakten Titel werden von 'If You Want Her To Be Taken' gebrochen, das sehr klar und direkt ist, obwohl die Musik eher langsam und fragil ist, bis es in einem schnellen Ende mündet. Sind wir mit Themen wie religiöser oder sexueller Gewalt konfrontiert?
»Der Song behandelt die Trennung von Körpern auf dieser Realitätsebene. Jemanden zu verlieren und zu beerdigen, der dir nahe steht, ist etwas, das dich in deinen Grundfesten erschüttert.«

Falls man nach Genres suchen möchte, ist 'Dark Horse' ein spannendes Beispiel, weil ihr in dem Track klassischen Psychedelic Rock mit Riffs kombiniert, die auch modriger Death Metal mit einer total anderen Produktion sein könnten. Hinzu kommen deine Soul und Blues atmenden Vocals. Was ist deine Methode wenn du aufnimmst? Bist du offen für spontane Experimente, oder geht nichts über genaue Planung?
»Ich bin schrecklich pingelig mit meinen Gesangslinien. Ich hab sie normalerweise gern vorher festgelegt, aber ich lasse trotzdem ein bisschen Raum für Experimente im Studio. Ich bin sehr selbstkritisch, weil das Singen mir sehr am Herzen liegt. Es ist keine Frage der Technik, sondern ein genereller Aspekt in der Kunst für mich. Der Schlüssel ist es, Emotionen, dein Inneres, Blut und Feuer zu kanalisieren. Es ist etwas ursprüngliches im Singen, das mich fasziniert. Das kann dich auf andere Wahrnehmungsebenen transportieren und wirklich deinen Körper und Geist prägen.«

Es gibt ein Video zu dem Song 'Pilgrim', welches sehr meditativ ausgefallen ist. Als Band seid ihr in einer Höhle zu sehen und es zeigt Frauen, die den traditionellen, nordafrikanischen Tanz Nakh mit Headbanging verbinden. Erzähl uns bitte mehr über die Orte und Menschen! Einiges lässt sich auch auf eurer Instagram-Seite sehen.
»Mit Nakh sind wir bei der Suche nach einem Albumcover in Kontakt gekommen. Wir haben diese Fotografie von E.M. Schutz aus den 1930ern gefunden (dazu hat meine Recherche nichts weiteres ergeben – mes) und es war Liebe auf den ersten Blick. Das Bild zeigt Frauen, die an der Algerisch-Tunesischen Grenze diesen Tanz aufführen. Die Tänzerinnen lassen ihr Haar wiederholt frei schwingen, was einen Trance-Zustand in dem Ritual hervorruft. Dieses Bild hat die Emotionen und Empfindungen visualisiert, die wir mit „Close“ vermitteln wollten. Uns ist direkt aufgefallen, welche Ähnlichkeiten es zwischen Nakh und Headbangen gibt, also kam die Verbindung im Video auf natürliche Weise.

Wir wollten den Tanz in unserem Video von professionellen Menschen performen lassen, also haben wir die Choreographin Saâdia Souyah kontaktiert. Sie beschäftigt sich ihr Leben lang mit traditionellen Tänzen Afrikas und ihre Arbeit wurde essentiell für das 'Pilgrim'-Video. Außerdem lehrt sie arabische Tänze in vielen Ländern von Frankreich bis nach Norwegen. Wir haben den ersten Teil des Videos an der Dune du Pilat bei Bordeaux gedreht. Es ist die höchste Sanddüne Europas.«

Wie du schon sagtest, ist der Nakh auch Teil des Artworks. Ein Weg, Frauen zu zeigen die Traditionen verbunden sind, aber gleichzeitig sehr stark und selbstbestimmt agieren?
»Ja, in etwa schon. Nakh kann sowohl als kraftvolles Ritual mit starker Verbundenheit zum kulturellen Erbe gesehen werden, in dem er wurzelt, als auch, wie ich persönlich denke, ein Mittel sein, um den persönlichen Willen zu bekräftigen. In anderen Worten manifestiert die Frau beim Nakh ihr eigenes inneres Universum, dass sein maximales Potential und seine Urkraft nur im Tanz ausschöpfen kann.«

Wie wurde das gesamte Design von „Close“ entworfen?
»Unser Bassist Marco und ich haben an dem Design gearbeitet. Wir haben das auch bei den vorigen Alben schon so gemacht. MESSA ist eine Band, die uns sehr wichtig ist. Dazu gehört auch die visuelle Seite. Alle physischen Formate des Albums werden ein besonderes Booklet haben, die Bilder vom Fotografen Federico Floriani enthalten. Er hat viele Stunden mit uns im Studio verbracht und die Sessions auf 35mm-Film und kleineren Kameras festgehalten.«

Ein Pilger ist ein orthodoxes und kirchenbezogenes Wort. Wonach sucht das Symbol des Pilgers in eurem Beispiel?
»Der Song ist einem heiligen Berg gewidmet. Und es ist auch eine anerkennende Geste an die vielen Menschen, die täglich den Gefahren des Mittelmeeres ausgesetzt sind.«

2022 wird „Feast For Water“ vier Jahre alt. Ein Album, das in natürlicher Weise außerhalb musikalischer Grenzen gedacht war, obwohl es auch nah an den Rockmusik-Wurzeln liegt. Wie habt ihr euch persönlich in den letzten Jahren entwickelt und konzentriert ihr euch nun hauptsächlich, dem Pandemie-Modus zu entkommen, um wieder Live-Erfahrungen zu machen?
»Natürlich, Veränderung ist beständig. Als Individuen haben wir uns verändert und uns mit unseren eigenen Fähigkeiten und Grenzen beschäftigt. Aber das bringt eine Band schließlich auch voran und die gemeinsamen Mühen lohnen sich. Auf musikalischer Seite haben wir viel geprobt und Songs geschrieben. Wie ich vorher sagte, wir wollen uns selbst motivieren und vorwärts gehen. Live zu spielen haben wir sehr vermisst und es ist eine sehr wichtiger Teil dieser Band.«

Eine eurer Shows im nächsten Jahr wird in einer Kirche in Braunschweig stattfinden. Was haltet ihr von Rock- und Metal-Shows, die heutzutage häufiger in ungewöhnlichen Locations stattfinden?
»Ich erfreue mich immer an ungewöhnlichen Dingen. Es ist cool, an besonderen Orten zu spielen, ob in einer Hütte im Wald oder auf einem Friedhof. Landschaften und Orte formen deine Wahrnehmung und wie du mit den Dingen in dieser Welt umgehst.«

https://messaproject.bandcamp.com

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