28 Jahre (!) ist es her, dass ich mich zuletzt auf ein Konzert von MARILLION traute. Eine Show einer Band, die ich früher sehr geliebt habe. Ihr im Nachhinein betrachtet gar nicht mehr so radikaler Stilwechsel hatte mich enttäuscht oder gar verärgert; nach „Brave“ war für mich Schluss mit meinen einstigen Neoprog-Göttern. Jetzt stehe ich in der rappelvollen Oberhausener Turbinenhalle, wippe gedankenverloren mit dem Fuß und frage mich, was genau ich damals in den Neunzigern nicht an der Besetzung ohne Fish verkraften konnte und warum ich nie so recht Lust darauf hatte, der Band eine weitere Chance zu geben.

Mit „An Hour Before It´s Dark“ legt die Progrock-Legende MARILLION im März 2022 ihr 20. Studioalbum vor. Wir haben uns mit Frontmann Steve Hogarth über den Plattentitel, die neuen Songs und seinen liebsten Fußballverein Manchester United unterhalten.

Ursprünglich 1979 unter dem Namen Silmarillion (nach dem gleichnamigen Tolkien-Buch) als Instrumentalgruppe im südostenglischen Aylesbury gegründet, entwickelten sich MARILLION nach dem Einstieg des überlebensgroßen Poeten und Sängers Fish zu Beginn der Achtziger zu den unumstrittenen Königen der damaligen Neoprog-Bewegung um Bands wie Twelfth Night, Pendragon und IQ. MARILLIONs Debütalbum „Script For A Jester´s Tear“ erschien am 13. März 1983, belegte Platz sieben der UK-Charts und strich auf Anhieb Platin ein.

Unter ihrem charismatischen Frontmann Fish avancierten Marillion nicht lange nach ihrer Debüt-Single „Market Square Heroes“ (1982) zu den unangefochtenen Königen des britischen Neo-Prog. Verblüffenderweise gelang es jedoch nicht einer einzigen Formation aus der „zweiten Reihe“, Marillion auf ihrem Weg in den Mainstream zu folgen. Nicht Twelfth Night, nicht Pallas und auch nicht Pendragon. Warum war dies so? Auf den nächsten Seiten folgt ein Streifzug durch die Neo-Prog-Gefilde der frühen achtziger Jahre.

Seit weit über 30 Jahren bestimmen MARILLION die Progrock-Szene mit und haben in dieser Zeit zig legendäre Alben veröffentlicht, die es problemlos in die Hall Of Fame der absoluten Prog-Klassiker geschafft haben. Platte Nummer 18 trägt den obskuren Titel „FEAR (Fuck Everyone And Run)“ und ist eine von vorne bis hinten außergewöhnliche MARILLION-Platte geworden, die konzeptionell eine politische Message transportiert und musikalisch-atmosphärisch an das ´94er Ausnahmewerk „Brave“ anknüpft.

Köln im Herbst. Die MARILLION-Legenden Steve Hogarth (v.) und Steve Rothery (g.) sitzen in einem schicken, aber nicht übertrieben noblen Privat-Hotel, schlürfen Cappuccino und lassen den lieben Gott einen guten Mann sein. Und sie geben bestens gelaunt Auskunft über ihr aktuelles Progrock-Doppel-CD-Abenteuer „Happiness Is The Road“.

MARILLION gelten als DAS Aushängeschild der Achtziger-Progrock-Szene - und haben heutzutage doch so viel mehr zu bieten. Denn anstatt sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, zelebrieren die Engländer nach wie vor den Fortschritt und haben mit dem brandneuen „Somewhere Else“ einen weiteren zeitlosen Seelenschmeichler in der Hinterhand. Wir plauderten bei Tee und Bier mit Sänger Steve Hogarth und Gitarrist Steve Rothery in einem urgemütlichen Kölner Hotel.

Dass die britischen Prog-Heroen auch im neuen Jahrtausend musikalisch Fuß fassen konnten, belegen die letzten beiden vorzüglichen Studioalben nachdrücklich. Mehr noch: Mittlerweile fällt es einem sogar recht leicht, Reviews und Interviews zu schreiben, ohne zwanghaft auf den alten Sänger der Band verweisen zu müssen. Äh, wie hieß der eigentlich noch mal? »Na ja, dafür gibt